Die 750-Jahr-Feier im Jahre 1950
Die 750-Jahr-Feier fiel in die frühen Jahre der Existenz der Deutschen Demokratischen Republik und damit in eine Zeit, die eher eine Konsolidation der Verhältnisse erforderte als eine Jubiläumsfeier. Hinzu kamen ernsthafte Versorgungsschwierigkeiten und -engpässe, die eigentlich überhaupt nicht in das „Weltbild" passten und zudem einen außerordentlich hohen Aufwand erforderlich machten, der zu Lasten Dritter gehen musste. Es spricht für die nicht weg zu diskutierende gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Mansfelder Unternehmens für das Staatswesen der DRR, dass sie sich - trotz aller Bedenken und wirtschaftlichen Schwierigkeiten - dafür entschieden hatte die 750-Jahr-Feier durchzuführen. Offenbar hatten sich in der Staatsführung jene Kräfte durchgesetzt, die in dieser Feier auch eine Chance gesehen haben, die Leistungsfähigkeit der jungen DDR, ihrer Wirtschaft und ihrer Einwohner zu belegen. Dieser Entschluss zur Durchführung des Festes sollte auch alle untergeordneten Institutionen, die in diesem Fest bei der allgemein herrschenden Mangelsituation eine letztlich unzumutbare und deshalb undurchführbare Aktion erkennen wollten, eine deutliche Aufmunterung sein. Der Sozialismus kann für besondere Ereignisse Kräfte freisetzen die ihn gegenüber dem Imperialismus westlicher Prägung als führend erweisen. Angesichts dieser zugewiesenen Bedeutung und des hohen, auch persönlichen Einsatzes mancher Minister war es nur folgerichtig, dass Wilhelm Pieck als dem Staatspräsidenten der DDR eine besondere Rolle zukam.
Wilhelm Pieck (1876 bis 1960), dem Ehrengast der 750-Jahr-Feier vom 01. bis 03. September1950, waren als gelerntem Handwerker derartige Feiern in der Regel eher unangenehm und Heldenposen peinlich. Die feierliche Begrüßung an der Kreisgrenze ließ sich natürlich nichtvermeiden. In Halle, wo der Staatspräsident am Tag zuvor eingetroffen war, hatte er sich jeden Empfang verbeten, da er nur als durchreisender Hotelgast gekommen sei. Pieck hatte man aber nicht lange bitten müssen, die 750-Jahr-Feier in Eisleben als Staatsgast zu besuchen, sah er doch als langjähriger Spitzenfunktionär der KPD bzw. SED im Mansfelder und Sangerhäuser Kupferbergbaugebiet vor allem ein Zentrum der „revolutionären Arbeiterbewegung". In seiner Rede erinnerte er denn auch an den - allerdings erfolglosen -Aufruf Thomas Münzers an die Sangerhäuser Bergknappen, den Bauernaufstand zu unterstützen, an die Streiks der Jahre 1909 und 1930, an den Kapp-Putsch 1920 und die „Märzkämpfe" 1921, an den „Blutsonntag" von 1933, an die Fahne von Kriwoj Rog als Symbol der Freundschaft zwischen ukrainischen und Mansfelder Bergarbeitern und an das vor dem Einschmelzen durch die Nationalsozialisten bewahrte Lenindenkmal.
Doch Wilhelm Pieck war nicht nur der „revolutionären" Vergangenheit wegen ins „rote Mansfeld" gekommen. Der Aufbau einer Schwerindustrie hatte für das Überleben der 1950 erst wenige Monate alten DDR entscheidende Bedeutung. Die Teilnahme des Staatspräsidenten Wilhelm Pieck und des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl (1894 bis 1964) an der Jubiläumsfeier sollte das demonstrativ unterstreichen. Nur wenige Tage zuvor war eine Verordnung erlassen worden, von deren Umsetzung man sich eine „Steigerung der Arbeitsproduktivität" durch „umfangreiche Mechanisierung" erhoffte. Danach war der Bergbau „vorrangig mit den erforderlichen Ausrüstungen, Ersatzteilen und Materialien" zu versorgen. Löhne und Gehälter sollten so angehoben werden, dass sie „entsprechend der Bedeutung des Bergbaues an der Spitze der Facharbeiterlöhne und Gehälter aller Industrien stehen". Verfügt wurden ferner eine Zusatzbelohnung von bis zu 12 % des Jahresbruttolohns sowie besondere „Ehrenrechte", wie die Titel „Meisterhauer" und „Verdienter Bergmann" sowie ein „Ehrentag der deutschen Bergleute" an jedem ersten Sonntag im Juli, erstmals aber am 17. September 1950. Wilhelm Pieck kündigte den Ausbau bestehender und die Erschließung neuer Schächte im Sangerhäuser Revier an, um die Förderung auf l,5 Mio. Kupferschiefererz zu erhöhen, womit 70 % des damaligen Landesbedarfs an Kupfer gedeckt und die DDR weitgehend von den „Schwierigkeiten der Einfuhr" befreit werden sollte.
Diese Verordnung war durchaus geeignet, Feststimmung aufkommen zu lassen, bot sich der Region doch nach Krieg, Zerstörung und Hunger eine wirtschaftliche Perspektive, die Arbeit, Lohn und Brot verhieß. Dieser Bedeutung und diesem Anspruch entsprechend konnte sich die 750-Jahr-Feier sehen lassen: Es gab Fahnen- und Girlandenschmuck, Festumzüge, Massenkundgebungen, Fackelzüge und Feuerwerk, Sport- und Kulturveranstaltungen, Gedenkplaketten und Festzigaretten, die Einweihung des Denkmals auf dem Hettstedter Markt, die Verleihung des Namens „Thomas-Münzer-Schacht" und vieles andere mehr. Dass hinter den Kulissen zusätzliche Benzinlieferungen, Lebensmittelzuteilungen und Papierkontingente erstritten und die Essenportionen für Ehrengäste in Hettstedt und Sangerhausen von denen in Eisleben „abgezweigt" werden mussten, war der allgemein schlechten Wirtschaftslage geschuldet und hat vor allem die Organisatoren beschäftigt. Von hohem künstlerischem Rang war das Mansfelder Oratorium von Stephan Hermlin und Ernst Hermann Meyer mit Aufführungen in Hettstedt, Sangerhausen und Eisleben, das zu den kulturpolitisch bedeutendsten Manifestationen der jungen DDR zu rechnen ist.
Großen Ärger gab es indessen mit der Festschrift. Sie sollte „die verflossenen 750 Jahre in ihrem geschichtlichen und wirtschaftlichen, ganz besonders aber in ihrem politischen Ablauf schildern. Als Mitautor war Dr. Hanns Freydank gewonnen worden, der u. a. das Werksmuseum der Mansfeld AG betreut hatte und enge Kontakte mit dem Westen pflegte, u.a. auch mit dem Bergbau-Museum in Bochum. Im April 1950 kündigte er seine Mitarbeit an der Erstellung der Festschrift auf, da er nicht in der Lage sei, „die Geschichte der Arbeiterbewegung des Mansfelder Bergbaugebietes nach dialektischen (materialistischen) Erkenntnissen zu schreiben". Das Manuskript wurde - wenn auch verspätet - dennoch fertig, in 20.000 Exemplaren gedruckt, zum Jubiläum nicht herausgegeben, am 22. Januar 1951 an einem Altstoffhändler in Magdeburg übergeben und „unter Polizeiaufsicht" wenig später in Bitterfeld eingestampft. Die genauen Gründe dafür sind bis heute unbekannt geblieben, am Gutachten eines späteren Geschichtsprofessors kann es nicht gelegen haben. Es kritisierte zwar die unausgewogene Darstellung, sprachliche Mängel und einige sachliche Irrtümer, blieb insgesamt aber wohlwollend. Es kam in der DDR allerdings häufig vor, dass per Beschluss Ansichten für falsch erklärt wurden, die ein früherer Beschluss derselben Instanz zur allein gültigen Wahrheit erhoben hatte. Zur Ironie der Geschichte gehört es, dass trotz Polizeiaufsicht einige Exemplare der Festschrift aus dem Jahre 1950 erhalten geblieben sind.
Da die Festschrift eine besondere Bedeutung als aussagekräftiges „zeitgenössisches Dokument" besitzt, haben die Verfasser des nun vorliegendes 4. Bandes sie im Anhang als CD beigefügt: Es mutet fast als ein „Witz der Geschichte" an, dass diese Festschrift erst jetzt unter veränderten gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen und rd. 60 Jahre nach dem vorgesehenen Erscheinungstermin von einem System publiziert werden kann, das ursprünglich dem Klassenfeind zugerechnet worden ist.
Die 750-Jahr-Feier war - so wird man zusammenfassend urteilen müssen - zum einen Auftakt für eine letzte Periode beeindruckender Leistungen und Produktionsergebnisse im Mansfelder und Sangerhäuser Berg- und Hüttenwesen, sie war zugleich aber gezeichnet von einer dogmatischen Enge, die 40 Jahre später den Untergang der DDR mit verursachte. Dennoch: Für die Bevölkerung im Mansfelder Land war die Feier ein herausragendes Ereignis und ein Signal, das ganz wesentlich zur positiven Motivierung im Sinne einer gesteigerten gesellschaftlichen Akzeptanz der jungen DDR beigetragen hat. Der im ZK der SED in Berlin durchaus kontroverse Entschluss, die 750-Jahr-Feier des Mansfelder Kupferschieferbergbaus-und des Hüttenwesens in großem Umfang zu begehen, erwies sich im Rückblick für die DDR als uneingeschränkt richtig, manifestierte sich doch in ihr und durch sie die hohe Leistungsfähigkeit des Systems und gab Ansporn für das Engagement der Staatsbürger nicht nur in der Mansfelder Region, sondern auch im gesamten Staatsgebiet der DDR.
01/2019