Die 700-Jahr-Feier im Jahre 1900
Der Aufwand für die 700-Jahr-Feier war entsprechend groß. Eisleben prangte im Festschmuck. Mehr als 7.000 Berg- und Hüttenleute wurden zur Parade aufgeboten, 5.700 Mansfelder Schüler und Schülerinnen hatten „Gelegenheit", „an bevorzugten Plätzen und in bequemer Stellung Ihre Majestäten, den Kaiser und die Kaiserin, in die Stadt einziehen zusehen und ihnen zuzujubeln". Am 12. Juni tafelten 700 Ehrengäste im Wiesenhause und erhielten jeder ein Exemplar der Festschrift. Die zur Parade „commandiert" gewesenen Berg-und Hüttenleute wurden „zugweise zur Bewirtung geführt". Am 13. Juni gab es in weiteren Orten Umzüge und gesellige Zusammenkünfte der Belegschaften. Hettstedt veranstaltete einen Fackelzug zur „historischen Fundstelle vor dem Grellmannschen Hause" auf dem Kupferberg.
Eine reine Gedenkveranstaltung war die 700-Jahr-Feier allerdings bei weitem nicht. Sie galt sogar in erster Linie sehr handfesten ökonomischen und politischen Interessen. Von Kaiser Wilhelm II. (1859 bis 1941), und den geladenen höheren Beamten erhoffte sich die Unternehmensleitung in ganz pragmatischer Weise einträgliche Staatsaufträge, eine Gesetzgebung, die Gewinne sicherte, und die Eindämmung des wachsenden Einflusses der Sozialdemokratie. Dr. Otto Robert Georgi (1831 bis 1918), der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister und Mitglied der Gewerkschaftlichen Deputation, deutete das in seiner Rede vor dem Kaiser vorsichtig an: Er verwies auf Schwierigkeiten, die sich aus dem Preisverfall für Kupfer und Silber und dem überraschenden, unvorhergesehenen Einbruchvon den Wassern des Salzigen Sees in die Grubenfelder ergeben hatten. Deutlicher wurde Adolph Graf von Hohenthal (1846 bis 1914) im Wiesenhause: Er dankte dem zuständigen Minister und dem Oberbergamt für die „energische Vertretung unserer berechtigten Wünsche", die „einsichtsvolle Anerkennung unserer Mansfeldschen Eigenart" sowie für vorsichtiges Abwägen gegenüber unreifen Plänen in Bezug auf Grubenpolizei und die Besteuerung der Gewerkschaften und für Unterstützung gegen frivole Streiks".
Mit Blick auf den Ausstand der Bergleute im Ruhrgebiet 1889 beklagte Bergrat Hermann Eduard Schrader (1855 bis 1940) schon beim Probeaufmarsch der Berg- und Hüttenleute am 10. Juni „bedenkliche Erscheinungen", zu denen die „Einführung des allgemeinen, geheimen und direkten Wahlrechts" geführt hätten. Die „seit Alters gerühmte Bergmannstreue" sei durch sozialdemokratische Umtriebe erschüttert" worden. Schrader verlieh dem Verband der Mansfelder reichstreuen Berg- und Hüttenarbeiter eine Fahne und versprach, der Kaiser werde ein „herrliches Reich" errichten, „größer und machtvoller, als je in der Vergangenheit". Auch die Kaiserin Auguste Victoria (1858 bis 1921) blieb nicht untätig: Als ihr der Vorsitzende des reichstreuen Verbandes vorgestellt wurde, soll sie gefragt haben, ob es unter den Mitgliedern „nicht doch auch Sozialdemokraten" gäbe. Auftrags- und erwartungsgemäß antwortete dieser: „Sozialdemokraten nicht, Ew. Majestät, wohl aber Schwache, die jedoch an dem reichstreuen Vereine den notwendigen Rückhalt finden und so vor weiterer Gefahr bewahrt bleiben". Das entsprach zwar mehr dem Wunsch des Verbandes und der Kaiserin als der Wirklichkeit, aber so groß, machtvoll und herrlich, wie Schrader glaubte, ist schließlich auch das „neue Reich" nicht geworden. Das Kaiserpaar war im Übrigen nur mit Mühe dazu gebracht worden, die Einladung zur 700-Jahr-Feier überhaupt anzunehmen, bestand doch das gravierende Problem darin, dass die Mitglieder des preußischen Königshauses Eisleben seit dem Jahre 1847 nicht mehr betreten wollten. Damals hatten hungernde Bürger den Abtransport von Getreide aus der Stadt verhindert und ein Militärkommando mit Steinen beworfen. Mehr als 70 Eisleber Bürger wurden daraufhin zu Haft-, Leibes- und Geldstrafen verurteilt, die Stadt verlor außerdem seinen Status als Garnisonsstadt: Fortan sollte und wollte kein Hohenzoller mehr seinen Fuß in die Stadtsetzen. Da Wilhelm II. aber für seine Rüstungspläne dringend Kupfer und Kupfererzeugnisse brauchte, fand man eine Lösung. Der Kaiser bestieg vor dem Bahnhof ein Pferd und blieb während der gesamten Dauer seines nur gut einstündigen Aufenthaltes darauf sitzen. Damit hatte er also tatsächlich keinen Eisleber Boden „betreten". Wer auf diesen Einfall kam, ist unbekannt, doch kam diese „Rosstour" der sprichwörtlichen Eitelkeit des Kaisers und seinem übersteigerten Selbstbewusstsein sehr entgegen. Wilhelm II. überragte damit auch die Menge und ähnelte dem pompösen Reiterstandbild, das im Jahre 1896 für seinen Großvater, Wilhelm I. (1779 bis 1888), am Kyffhäuser errichtet worden war.
Dennoch: Für die Mansfeld'sche Kupferschiefer bauende Gewerkschaft war die 700-Jahr- Feier ein Erfolg, war doch das Unternehmen durch den Besuch des Kaisers anerkannt und geehrt worden. Zudem hatte sich der Kaiser nicht negativ über die Mansfelder Bürger geäußert bzw. nicht auf das Ereignis des Jahres 1847 Bezug genommen. Insofern waren die Pläne des Mansfelder Unternehmens aufgegangen, die Feier zu einer Manifestation der Macht und der Leistungsfähigkeit werden zu lassen. Jeder Teilnehmer an der Jubelfeier musste - bewusst oder unbewusst - in aller Deutlichkeit erkennen, dass Mansfeld ohne die Mansfeld'sche Kupferschiefer bauende Gewerkschaft nicht denkbar war und dass das Wohl und Wehe der gesamten Region und jedes Einzelnen von diesem Montanunternehmen abhing. Die 700-Jahr-Feier des Jahres 1900 war eine gezielte Machtdemonstration!
01/2019