Lieder und Gebete im Tagesablauf der Berg- und Hüttenleute - Das Schichtgebet im Mansfeldischen

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Das Schichtgebet im Mansfeldischen

Es ist zu vermuten, dass bereits die Kapelle bei Welfesholz und auch die Gangolfkirche auf dem Kupferberg bei Hettstedt Treffpunkte waren, wo Bergleute vor Schichtbeginn zusammenkamen, ihr Gebet verrichteten und, nachdem sie das Gezähe in Empfang genommen haben, zu den Kauen der Schächte gingen, um gemeinsam einzufahren. Später waren es die Zechenhäuser, die - außerhalb der Siedlungen gelegen - inmitten größerer Abbaugebiete nachweisbar sind. Zechenhäuser waren öffentliche Gebäude, in denen sich die Bergleute versammelten, des Morgens vor der Schicht ihr Gebet verrichteten, die Namen der Mannschaft verlesen und die Gerätschaften aufbewahrt wurden. Es war ein Wirtshaus für Bergleute des Reviers. Als Beispiel sei das Zechenhaus im Rothenweller Zug bei Oberwiederstedt genannt.

Zechenhäuser boten auch den erforderlichen Schutz bei allen Wetterlagen, wie es in den Kauen der kleinen Schächte nicht möglich war. Die pünktliche Anwesenheit aller Arbeiter zur festgelegten Zeit war für die Anwesenheitskontrolle und Arbeitseinteilung durch die Steiger und somit für den geordneten Betriebsablauf von großer Bedeutung. Das Gebet war im Mansfelder Land spätestens ab dem 17. Jahrhundert nicht nur Tradition, sondern Pflicht. In der Berggerichtsordnung des Jahres 1688 heißt es in den nach heutigem Sprachgebrauch umständlichen Formulierungen im Artikel 2 wörtlich:

„Nachdem auch zur Erhebung und Steigen des Bergwerks sonderlich und vor allen Dingen ein fleißiges und andächtiges Gebet gehöret und erfordert wird, durch welches der Vater des Lichts, von dem Alle guten Gaben herkommen, bewogen wird, daß er seine reiche Hand auftut und seinen Segen in Klüfte und Gänge sinken und fallen lässet, auch die Bergleute beim Ein- und Ausfahren kräftiglich schützet und vor allem Unfall bewahret, als sollen alle Bergleute treulich vermahnet sein, nicht allein den Gottesdienst und öffentliche Predigten fleißig zu besuchen, sondern auch des Morgens, wenn sie auf den Schacht kommen, und ehe sie einfahren, auch da sie wieder ausfahren und aus dem Schachte in die Kaue kommen, ihr Berggebet mit Lesen und Singen fleißig und mit Andacht vorgeschriebener Maßen zu verrichten und damit sich zu verwahren, wie dann die Steiger darauf gute Achtung geben und allemal anzeigen sollen, welcher sich zu rechten Zeit auf denen Schächten und Zechen beim Gebet, als im Sommer des Morgens um fünf, des Winters aber bis 6 Uhr, und des Abends, sobald sie aus der Grube kommen, nicht einfindet und das Gebet abwartet, oder sich sonst der Gebühr nach nicht dabei bezeiget, damit dieselbe zu gebührender Strafe möge gezogen werden. Nebst dem Gebet soll man es mit der Hand frisch angreifen, ein jeder seine Arbeit treulich verrichten und beim Ein- und Ausfahren, es wäre denn Wettermangel oder andere wichtige Verhinderung im Wege, rechte Schichten zu halten“.

Der Ablauf der Andachten ist uns in einem Büchlein erhalten. Es trägt den umfangreichen Titel: „Angeordnete Betstunden, welche die Bergleute des Mannsfeld-Eisleb- und Hettstedtschen Bergwerks in folgender Ordnung auf denen Zechen und Schächten bei dem Ein- und Ausfahren Morgens, Mittags und Abends halten sollen“ und ist in mindestens zwei Auflagen (1791 und 1827) erschienen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Betende Bergleute“ Radierung von Prof. Georg Erler
„Betende Bergleute“ Radierung von Prof. Georg Erler

Es folgen das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis und die zehn Gebote. Danach sang man im Text genannte Lieder. Der Steiger wird, wie anderswo, die Andacht mit persönlichen Worten und einem Segenswunsch geschlossen haben. Das „Gesangbuch zur Morgen Andacht der Hüttenarbeiter bey der Ober- und Mittelhütte“ (1806) von Johann August Christian Krause, Hüttenschreiber der Ober- und Mittelhütte und Schichtmeister zu Großleinungen“ gibt keine Auskunft über den Ablauf der Andachten in den Mansfelder Hüttenbetrieben. Es enthält lediglich Texte zu 12 Morgenliedern und 24 Liedern verschiedenen Inhalts.

Nicht alle Berg- und Hüttenleute mögen der befohlenen Andacht mit voller Überzeugung gefolgt sein. In der Berggerichtsordnung waren harte Strafen angedroht. Für schwere Vergehen, z. B. Gotteslästerung, gab es 8 Tage Gefängnis bei Wasser und Brot, eine Stunde am Kreuze stehen oder es mussten 7 Gulden Strafe gezahlt werden. 140 Jahre später wurde im „Publikantum“ des Bergamtes vom 4. Juni 1828 für jedes versäumte Morgengebet ½ Silbergroschen Buße fällig. (Bei Schichtlöhnen von 5 bis 10 Silbergroschen.) Nach dem Gebet waren bis zur Einfahrt 15 Minuten Zeit. Bei Überschreitung dieser Frist wurde ein Silbergroschen Strafe verhängt. In der Folgezeit wurden die Strafmaßnahmen mehrfach modifiziert. Die Strafgelder wurden bis etwa 1909 ausschließlich den Knappschaftskassen übergeben und zählten dort zu den regulären Einnahmen. Im Zechenhaus – Gebet der Knappen vor der Einfahrt

Mit zunehmender Mannschaftsstärke eines Reviers wuchsen durch die gemeinsamen Andachten auch die Probleme. Bei der Ein- und Ausfahrt, die zum Beispiel bei den ersten Fahrkünsten über eine Stunde betragen konnten, musste z. B. die gesamte Mannschaft 15 Minuten zuzüglich der etwa 30 Minuten für die Morgenandacht vor Beginn der Einfahrt zugegen sein. Andererseits hatten die als erste ausfahrenden Bergleute, ohne noch nicht vorhandene Waschmöglichkeiten, verschmutzt, verschwitzt und mit nicht selten nassen Arbeitssachen zu warten, bis die letzten Kameraden wieder das Tageslicht erreicht hatten, um das vorgeschriebene gemeinsame Gebet zu verrichten. Besonders in der kalten Jahreszeit entstand dadurch eine kaum noch zumutbare Belastung. Nach Einführung der Markenkontrollen konnte das Verlesen vor und am Ende jeder Schicht wegfallen.

Das Schichtgebet verlor bei der Betriebsleitung zunehmend an Wert und Aufmerksamkeit. Betstuben wurden zwar auch nach 1870 nachweisbar noch auf einigen Schächten, z. B. auf dem Eduardschacht, eingerichtet. Sie dienten als Revierstuben und als Versammlungsräume und wurden bei Bedarf auch anderweitig genutzt. Auf dem Erdmannschacht in Wimmelburg wurde einer Verfügung entsprechend schon 1864 eine Dampflokomobile in die ehemalige Betstube gestellt. Andachten wurden offenbar nicht mehr regelmäßig durchgeführt. Beschlüsse dazu sind nicht bekannt.

Das Consistorium der Provinz Sachsen versuchte im August 1894, mit Unterstützung des Oberbergamtes Halle, die Wiedereinführung der gemeinschaftlichen Morgenandachten zu bewirken. Die Revierbeamten wurden beauftragt, Stellungnahmen dazu abzugeben und verlangten ihrerseits Stellungnahmen der Berg- und Hüttendirektion. Im November 1895 konnte der Eisleber Bergrevierbeamte Richter u.a. feststellen:

„ ... dass die Sitte, vor dem Anfahren eine gemeinsame Morgenandacht der Bergleute abzuhalten, durch die Entwicklung des Bergbaus zum Großbetrieb, durch viele damit zusammenhängende Umwälzungen und Neueinrichtungen, durch Einführung der Freizügigkeit, die Abkürzung und feste Begrenzung der Schichtzeit und die Abnahme des religiösen Sinnes mit der Zeit teilweise beseitigt worden ist.“

Im weiteren Text wurde auf das religiöse und sittliche Moment hingewiesen und gewünscht, dass die Morgenandachten, wo sie noch bestanden, weiter beibehalten bzw. die Einführung zumindest wöchentlich einmal montags wieder angestrebt werden sollte. Gebetbücher für Bergleute zum Preis von 50 Pfennig würden vorliegen und könnten in Magdeburg bezogen werden. Die Direktion hielt Morgenandachten zwar für wünschenswert, aber nicht für durchführbar. Im November 1896 wurde informiert, dass eine Anzahl Gruben im Oberbergamtsbereich wöchentliche Andachten eingeführt hatten. Es wurde gebeten, die Wiedereinführung noch einmal zu prüfen. Es erfolgte jedoch auch darauf ein negativer Bescheid. Im Jahre 1918 erfolgte ein letzter Versuch, wieder Morgenandachten einzuführen. Mit Verweis auf den Arbeitszeitverlust und im Interesse der Landesvereidigung wurde eine negative Antwort erteilt. Im Kupferschieferbergbau des Mansfelder Landes gab es keine Morgenandachten mehr. In anderen Bergrevieren, beispielsweise im Mechernicher Bergbau, wurden gemeinsame Schichtgebete noch bis nach dem II. Weltkrieg gesprochen.

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