Die Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern am Ende des 19. Jh./Anfang 20. Jh. im Mansfelder Kupferschieferbergbau
Der von Dr. Stefan König - VMBH e. V. im Ergebnis umfangreicher Recherchen zusammengestellte Beitrag vermittelt einen kleinen Einblick auf Auswirkungen der Arbeitsbedingungen und dereren Veränderungen in Folge von Grubenschließungen am Ende des 19. Jh./Anfang 20. Jh. im Mansfelder Kupferschieferbergbau auf das Leben der Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern.
Inhalt
1. Zur Einleitung
2. Die genutzten Informationsquellen
3. Der Sangerhäuser Kupferschieferbergbau bis zu seiner Stilllegung 1885
4. Die Einrichtung und Nutzung der Schlafhäuser der MKbG
5. Die Bergleute und die Preußische Staatsbahn
6. Die Verwaltungsstruktur des Kupferschieferbergbaus um 1900
7. Die Anlegung von Bergleuten aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern in der Mansfelder Mulde
7.1 Eine Übersicht
7.2 Die Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern im Hirschwinkler Revier
7.3 Die Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern im Schafbreiter Revier
7.4 Die Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern im Helftaer Revier/Hermannschacht
8. Die Kriegskläuberinnen aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern
9. Das Ende und der Neuanfang der Bergmannsarbeit in den Sangerhäuser Vorharzdörfern
Quellennachweise
1. Zur Einleitung (zurück zum Inhaltsverzeichnis)
Für das Redaktionsteam der Homepage www. kupferspuren.eu des Vereins der Mansfelder Berg- und Hüttenleute sind Anfragen zu Personen, die im Mansfelder Montanwesen beschäftigt waren, nichts Ungewöhnliches. Erfreulicherweise konnten wir in einzelnen Fällen mit Angaben zu den angefragten Personen helfen. Wenn nicht, dann erfolgte ein Hinweis auf mögliche Informationsquellen, wie sie z. B. in den Archiven von Sachsen-Anhalt zu finden sind.
Ausgangspunkt für diesen Artikel war eine Anfrage an unsere Homepage im Rahmen von Familienforschungen. Ein Nachfahre von ehemaligen Bergleuten aus Lengefeld bei Sangerhausen interessierte sich für seine Vorfahren, die am Ende 19. Jh. /Anfang 20. Jh. in Schächten in der Mansfelder Mulde arbeiteten. Für die Lengefelder Bergleute, aber auch für die anderen Bergleute, die in den Vorharzdörfern im Einzugsbereich des ehemaligen Sangerhäuser Kupferschieferbergbaus wohnten, stellte die Einstellung des Kupferbergbaus im Jahr 1885 eine wirtschaftliche und soziale Katastrophe dar. Die Bergleute aus den Dörfern des Einzugsgebietes des Reviers, die nachfolgend als Sangerhäuser Vorharzdörfer bezeichnet werden, verloren ihren Arbeitsplatz in den Schächten unmittelbar vor „ihrer Haustür“.
Abb. 1: Blick auf Lengefeld und die Haldenlandschaft des Sangerhäuser Altbergbaus am Ausgehenden des Kupferschiefers am Südharzrand (Foto M. Spilker 2019)
Um die neu entstandene Situation zu meistern, war ihr Mut gefordert. Einige von ihnen wechselten in die zu dieser Zeit verkehrsmäßig weit entfernten Schächte in der Mansfelder Mulde. Damit waren für sie neben der harten und gefährlichen Bergmannsarbeit auch körperliche Strapazen und familiäre Belastungen verbunden. Die Sangerhäuser Bergleute mussten einen langen Arbeitsweg bzw. die Unterkunft während der Arbeitswoche in einem Fremdquartier, in der Nähe der Mansfelder Schächte, in Kauf nehmen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass nicht nur die Sangerhäuser Bergleute neben ihrer Arbeit in den Schächten auch vielfach kleine Landwirtschaften zur Eigenversorgung in ihren Heimatdörfern betrieben. Eine Aufgabe, die dann zum größten Teil den Ehefrauen und ihren Kindern zufiel. Der beschwerliche Weg der Sangerhäuser Bergleute zu den weit entfernten Schächten in der Mansfelder Mulde wird nachfolgend beschrieben.
2. Die genutzten Informationsquellen (zurück zum Inhaltsverzeichnis)
Die wichtigsten Informationsquellen im Rahmen dieser Recherche waren neben den jährlich erschienenen Verwaltungsberichten (Vwb) der Mansfeld‘schen Kupferschieferbauenden Gewerkschaft (MKbG) die Mannschaftsnachweise (Mnw) der verschiedenen Kupferschieferreviere bzw. Schächte. Aber auch die anderen unter Bergaufsicht stehenden Mansfelder Montanbetriebe im Raum Sangerhausen (z. B. Sangerhäuser Hütte, Braunkohlenwerk Riestedt) waren von Interesse. Eine Zusammenstellung der genutzten Informationsquellen (Literatur, Archivalien, Internet) befindet sich am Schluss dieses Artikels.
Die Mnw mussten durch die MKbG gemäß § 93 des damals gültigen „Allgemeinen Berggesetzes“ geführt werden. Sie waren zum Abschluss eines jeden Kalenderjahres zu erstellen. Im Jahr 1863 wurde von dem damaligen Ober-Berg- und Hütten-Direktor Ernst Leuschner eine Erweiterung der vom Gesetzgeber geforderten Nachweispflichten verfügt. So waren in den Mnw neben den geforderten bergamtlichen Daten (u. a. Geburtsjahr, Wohnort, Qualifikation, Datum Aufnahme Bergbautätigkeit) auch Angaben über die Familienverhältnisse (z. B. Ehefrau, Anzahl der Kinder unter 14 Jahren) zu dokumentieren. Weiterhin wurden auch Daten über die privaten Besitzverhältnisse (z. B. Haus- und Grundstücksbesitz) sowie über gewährte Unfall- und Militärrenten ausgewiesen. Mit diesen Angaben stellen die Mnw wichtige Informationsquellen im Rahmen von heutigen Familienforschungen dar.
Die Daten zu den Bergleuten aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern fielen bei der Bearbeitung anderer montanhistorischen Forschungsthemen an. Obwohl sie deshalb nicht in vollständigen Datenreihen vorliegen, stellen sie doch einen wertvoller Bezug zu den Arbeits- und Lebensbedingungen der Bergleute in dieser Zeit her.
3. Der Sangerhäuser Kupferschieferbergbau bis zu seiner Stilllegung 1885 (zurück zum Inhaltsverzeichnis)
In der 2. Hälfte des 19. Jh. betrieb die Mansfeld‘sche Kupferschieferbauende Gewerkschaft (MKbG) im Raum Sangerhausen drei Montanbetriebe:
Das Braunkohlenwerk Riestedt-Emseloh
Die Belegschaftsstärke lag in der 2. Hälfte des 19. Jh. etwa zwischen 300 bis 400 Beschäftigte. Im Jahr 1893, dem Jahr vor der Einstellung, waren 177 Bergleute im Braunkohlenwerk beschäftigt. Seine Stilllegung erfolgte im April 1894. Über das Schicksal der freigesetzten Bergleute, die vor allem aus Riestedt kamen, liegen in den eingesehenen Quellen keine detaillierte Informationen vor.
Die Kupferhütte Sangerhausen
Die Kupferhütte hatte lt. Mnw der Jahre 1862 und 1863 eine Gesamtbelegschaft von 36 bzw. 38 Mann. Davon kamen acht bzw. vier Hüttenarbeiter aus Lengefeld. Die Kupferhütte Sangerhausen stellte im Jahr 1887 ihren Betrieb ein.
Das Sangerhäuser Kupferschieferrevier (Sangerhäuser Altbergbaurevier)
Der Sangerhäuser Kupferschieferbergbau wurde bis zu seiner Einstellung im Jahr 1885 durch Hermann Schrader geleitet. Er wurde im damaligen Sprachgebrauch als Bergwerks-Dirigent bezeichnet. Weiterhin führte er den Dienstrang eines gewerkschaftlichen Berginspektors. Auch das Riestedter Braunkohlenwerk oblag seiner Führung. Im Jahr 1900 stieg Hermann Schrader zum Ober-Berg- und Hütten-Direktor der MKbG auf. Er war auch der Namensgeber des Hermannschachtes bei Helfta.
Abb. 2: Übersichtsplan des Sangerhäuser Kupferschieferreviers (Schächte) und des Einzugsgebietes der Belegschaft aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern mit Angabe der Anzahl der Einwohner und Bergleute in den 1870er-Jahren (Klick auf das Bild zum Vergrößern)
Der Abbauschwerpunkt des Sangerhäuser Kupferschieferbergbaus befand sich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts westlich des Röhrigschachtes. Gefördert wurde im Johannschacht bis ca. 1874, im Carolusschacht bis 1880 und im Röhrigschacht bis 1885. Im Raum Obersdorf und Pölsfeld liefen unbedeutende und von wenig Erfolg gekrönte Abbauversuche.
Folgende Zahlen sollen die wirtschaftliche Bedeutung des Sangerhäuser Bergbaus in dieser Zeit für den gesamten Mansfelder Bergbau verdeutlichen: Im Jahr 1873 wurde nur ca. 5 % des gesamten Mansfelder Kupferschiefererzes, bei einem Anteil der Sangerhäuser an der Gesamtbelegschaft des Kupferschieferbergbaus von ca. 8 %, im Sangerhäuser Revier gefördert
Wie auf der Karte in Abb. 2 ersichtlich, kam im Jahr 1873 die Belegschaft des Sangerhäuser Kupferbergbaus aus neun Dörfern im Sangerhäuser Vorharzbereich. Er wird als solcher auch nachfolgend ausgewiesen und betrachtet. Ebenfalls sind auf der Karte die per 1. Dezember 1871 ausgewiesenen Einwohnerzahlen dieser neun Dörfer vermerkt. Die Zahlen verdeutlichen, dass der Kupferschieferbergbau für diese Ortschaften eine große wirtschaftliche Bedeutung besaß: Er gab vielen von ihren Einwohnern Lohn und Brot.
Eine Zusammenstellung und Auswertung der vorliegenden Mannschaftsnachweise (Mnw) der Jahre 1864, 1869, 1870, 1872, 1873 und 1875 des Sangerhäuser Kupferschieferreviers ist in der Tabelle 1 dokumentiert. In ihr werden die Lengefelder Bergleute gesondert ausgewiesen:
Tab. 1: Die Belegschaft des Sangerhäuser Kupferschieferreviers im 19. Jh.
Die Belegschaftszahlen des Sangerhäuser Reviers belegen für die aufgeführten sechs Jahre eine relativ konstante Anlegung, auch von Lengefelder Bergleuten. Sie schwankte aber in Abhängigkeit von der Stärke der Gesamtbelegschaft des Reviers. Überraschenderweise finden sich in den Mnw keine Bergleute aus der Stadt Sangerhausen. Weitergehende Details zu den Bergleuten in dieser Zeit lassen sich aus den Mannschaftsnachweisen des Sangerhäuser Reviers erschließen. Sie befinden sich im Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Merseburg (LASA, MER).
Am 1. Oktober 1885 wurde der Kupferschieferbergbau im Sangerhäuser Revier aus wirtschaftlichen Gründen stillgelegt. Im Verwaltungsbericht der Mansfeld‘schen Kupferschieferbauenden Gewerkschaft (MKbG) für das Jahr 1885 wurde angeführt /1/, dass die Belegschaft des Sangerhäuser Reviers im September 1885 eine Stärke von 557 Mann hatte. Man vermerkte dazu:
„… Die Arbeiter sind so weit als möglich auf die Mansfelder Reviere mit allerdings sehr großen Unzuträglichkeiten verlegt worden …“.
Daten und Informationen, wie diese Verlegung geschah, sind nicht bekannt.
Für die in die Schächte der Mansfelder Mulde umgesetzten Sangerhäuser Kupferschieferbergleute war ein täglicher Hin- und Rückweg bei den damaligen Verkehrsverhältnissen zu beschwerlich. Deshalb besaßen die Schlafhäuser, die in unmittelbarer Nähe ihrer neuen Arbeitsstätten lagen, auch für die Bergleute aus dem Sangerhäuser Vorharzbereich eine große Bedeutung.
4. Die Einrichtung und Nutzung der Schlafhäuser der MKbG (zurück zum Inhaltsverzeichnis)
Die in der 2. Hälfte des 19. Jh. einsetzende rasante Steigerung der Kupferproduktion im Mansfelder Montanwesen war nur mit einer wachsenden Belegschaft möglich. Sie wurde aus Polen und Italien, aber auch aus deutschen Regionen angeworben. Für sie mussten Unterbringungsmöglichkeiten in Nähe der Mansfelder Montanwerke geschaffen werden.
Aber auch die erfahrenen und gut organisierten Bergleute aus dem 1885 stillgelegten Sangerhäuser Kupferbergbau waren gefragte Arbeitskräfte. Viele von ihnen hatten ihre Wohnungen im Sangerhäuser Vorharzbereich behalten und logierten während der Arbeitswoche in den Schlafhäusern der MKbG. Andere suchten sich als Unterkunft ein Privatquartier.
Bereits nach 1863 entstanden in verschiedenen Städten und Dörfern des Mansfelder Montanreviers Schlafhäuser. Ihre Anzahl erreichte in der 2. Hälfte des 19. Jh. mit vierzehn Häusern den Höchststand. Davon existierten im Jahr 1900 noch 7 Schlafhäuser, darunter auch ein Schlafhaus für 48 weibliche Belegschaftsangehörige. Die Anzahl der Arbeiter in den übrigen sechs Schlafhäusern wurde im Jahr 1900 mit 1.698 Mann angegeben. Für 1906 wurden nur noch 2 Schlafhäuser angeführt. Sie befanden sich in Eisleben und Klostermansfeld.
Die Schlafhäuser der MKbG standen unter Verwaltung und Beaufsichtigung von Schlafhaus- und Menagemeistern. Die Nutzer erhielten in den Schlafhäusern Unterkunft und Beköstigung gegen Bezahlung. Um 1900 entrichtete der erwachsene Nutzer für die volle Beköstigung täglich 75 Pfennige, Jungen unter 16 Jahren 55 Pfennige. Für Unterkunft, Licht und Feuerung musste in den Wintermonaten 12 Pfennige/Tag, im Sommer 9 Pfennige/Tag zusätzlich gezahlt werden.
In einem Schlafraum waren durchschnittlich 10 Personen untergebracht. Jeder von ihnen hatte eine Schlafstelle und einen Stuhl, während sich mehrere Nutzer einen Schrank teilten.
Der im Jahr 1870 in Ostpreußen geborenen Bergmann Karl S., der 1889 eine Arbeit im Mansfelder Bergbau aufnahm, berichtete /2/ Folgendes:
„… Für meine vielfach zehn- und zwölfstündige Arbeitszeit erhielt ich ganze 1,68 Mark als Sechzehngroschenjunge. Außerdem bezog ich als Fremdarbeiter, der im Schlafhaus wohnte, eine Quartierzulage von 25 Pfennige/Tag, weil sonst der Lohn nicht ausgereicht hätte, meinen Lebensunterhalt zu bestreiten …“.
Für die auswärtige Belegschaft des Ottoschachtes bei Wimmelburg, im Schafbreiter Revier, war im Jahr 1884 das neue Schlafhaus an der Eisleber Krughütte bezugsfertig. Es lag in unmittelbarer Nähe dieses Schachtes und konnte 350 Mann aufnehmen. Bereits in der Auslaufphase des Ottoschachtes, der 1911 endgültig stillgelegt wurde, fand das aufgegebene Schlafhaus eine neue Nutzung für das Laboratorium der MKbG.
Von dem 1869 in Riestedt geborenem Karl G. wurde folgende Beschreibung /3/ wiedergegeben:
„… 1886 auf dem Ottoschacht zur ersten Schicht angefahren. Da der Weg von Riestedt bis Kreisfeld zu weit war, fand er im Eisleber Schlafhaus, das in dem heutigen Gebäude des Zentrallaboratoriums untergebracht war, Aufnahme. Zu einem Schichtlohn von 1,08 Mark kam in diesem Falle für Insassen des Schlafhauses noch eine Quartierzulage von 40 Pfg. hinzu. Die Unterbringungskosten im Schlafhaus betrugen 70 Pfg. pro Tag …“.
Nach den Wassereinbrüchen im Schafbreiter Revier in den 1890er Jahren wurde Karl G. wie viele seiner anderen Kameraden zum Glückhilfschacht bei Welfesholz umgesetzt. Er wechselte auch vom Schlafhaus an der Eisleber Krughütte in das Schlafhaus in Siersleben. Nach nicht näher beschriebenen, aus seiner Sicht aber geringen Vorkommnissen, wurde ihm sein Quartier im Schlafhaus Siersleben gekündigt. Weiter berichtete /3/ Karl G.:
„… Nun galt es, von Riestedt aus tagsaus, tagein den dreistündigen Weg zum Schacht zu Fuß zurücklegen …“.
5. Die Bergleute und die Preußische Staatsbahn (zurück zum Inhaltsverzeichnis)
In der 2. Hälfte des 19. Jh. eroberte die Eisenbahn auch allmählich die Region Eisleben-Sangerhausen. Das erste fertiggestellte Teilstück der Eisenbahntrasse Halle-Kassel der Preußischen Staatsbahn umfasste die Strecke zwischen Halle und Eisleben. Sie wurde am 1. September 1865 in Betrieb genommen. In einem Heft des Riestedter Heimat- und Geschichtsvereins wird über die Geschichte des Eisenbahnverkehrs um Riestedt ausführlich berichtet.
Zur Verlängerung der Eisenbahnstrecke von Eisleben nach Westen, also in Richtung Sangerhausen, musste der Hornburger Sattel mit einem Tunnel durchquert werden. Die Bauarbeiten des 875 m langen Tunnels begannen 1863 und wurden 1864/65 abgeschlossen. Am 10. Juli 1866 wurde die Eisenbahnstrecke Eisleben-Sangerhausen-Nordhausen dem Verkehr übergeben.
Am 15. April 1879 wurde die Bahnlinie Berlin-Güsten-Sandersleben-Blankenheim, im Volksmund auch als Kanonenbahn bezeichnet, in Betrieb genommen. In ihrem Verlauf quert sie das westliche Mansfelder Bergbaurevier. Der damalige Bahnhof Mansfeld, gelegen in Klostermansfeld, befand sich in Nähe der Schachtanlage LL 81 F (F-Froschmühlenstollen). Später wurde er unter der Bezeichnung Klostermansfeld auf seinen heutigen Standort in die Gemarkung Benndorf verlegt.
Für die Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern besaß der Bahnhof Riestedt an der Halle-Kasseler Bahnlinie eine große Bedeutung. In der bereits erwähnten Veröffentlichung des Riestedter Vereins wird davon ausgegangen, dass seine Einrichtung von der Mansfeld‘schen Kupferschieferbauenden Gewerkschaft zum Abtransport der im Riestedter-Emseloher Braunkohlenrevier abgebauten Kohle intensiv erwirkt und stark gefördert wurde.
Bereits im Jahr 1866 wurde in einer Zeitungsanzeige die Verpachtung von Restaurationslokalen in Bahnhöfen an der Halle-Kasseler Bahnstrecke, u. a. im Bahnhof Riestedt, angeboten.
Im Herbst 1874 wurde der Bahnabschnitt Riestedt-Sangerhausen zweigleisig ausgebaut. Am 15. Mai 1878 wurde auch der zweigleisige Betrieb zwischen Halle und Blankenheim aufgenommen.
Abb. 3: Ansicht des Bahnhofes Riestedt, Ausschnitt einer historischen AK um 1900
Der Ausschnitt aus der historischen Ansichtskarte vermittelt einen Eindruck von dem Bahnhof Riestedt in dieser Zeit. Zu sehen ist auf ihr auch das Waldrestaurant, welches sich gegenüber des Bahnhofeinganges befand. Es wurde bis 1920 betrieben.
Ein Fahrplan aus dem Jahr 1872 weist über den Tag verteilt jeweils drei Züge von Halle nach Kassel bzw. in der Gegenrichtung aus. Von Bhf. Riestedt bis zum Bhf. Eisleben brauchte der Reisende im Jahr 1882 ca. 30 Minuten Zeit. Die Bahnhöfe in Blankenheim, Wolferode und Helfta waren noch nicht vorhanden. Diese für den Transport der Bergleute zu den Schachtanlagen Otto (bei Wimmelburg) und Hermann (bei Helfta) wichtigen Bahnhöfe wurden erst 1879 in Blankenheim, 1902 in Wolferode und 1910 in Helfta in Betrieb genommen. Speziell für die Schächte Otto und Hermann, wo die Bahnhöfe Wolferode und Helfta in Nähe bzw. unmittelbar am Schacht lagen, hatte die Eisenbahn zur Beförderung von den Bergleuten, auch aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern, eine große Bedeutung. Allerdings mussten sie zur Nutzung der Bahnverbindung stundenlange Fußmärsche aus ihren Heimatdörfern zu dem nächst gelegenen Bahnhof in Kauf nehmen. Darüber findet sich in der Literatur /4/ folgender Bericht des Bergmanns Bruno W. aus Obersdorf:
„… Um zum Hermannschacht zu kommen, musste ich von Obersdorf den einstündigen Marsch nach dem Bahnhof Riestedt laufen, von wo wir bis nach Helfta die Bahn benutzten. Wenn wir abends todmüde und total verdreckt nach Hause kamen, hatten wir nur das Bedürfnis uns auszuruhen, um am nächsten Morgen wieder von neuem an die Arbeit gehen zu können. …“.
6. Die Verwaltungsstruktur des Kupferschieferbergbaus um 1900 (zurück zum Inhaltsverzeichnis)
Der Mansfelder Kupferschieferbergbau war in dieser Zeit in drei Berginspektionen gegliedert. An ihrer Spitze stand jeweils ein Bergwerks-Dirigent, eine zu dieser Zeit gebräuchliche Dienstbezeichnung. Sie wurde aber später nicht mehr benutzt. Sein Dienstrang veränderte sich in Laufe der Jahre, so vom Berginspektor zum Bergmeister und ab Anfang des 20. Jh. wurde die Bezeichnung Bergwerksdirektor verwendet. Er führte in seinem Dienstrang immer die Benennung „gewerkschaftlich“, um z.B. den Bergmeister der Mansfeld‘schen Kupferschieferbauenden Gewerkschaft von dem Königlichen Bergmeister zu unterscheiden.
Den drei Mansfelder Bergwerks-Dirigenten unterstanden wiederum Reviere bzw. Schächte, die jeweils von einem Obersteiger als Betriebsführer geführt wurden.
Zu der Berginspektion (Bi) I gehörte um das Jahr 1900 das Schafbreiter Revier bei Wimmelburg, das Glückaufer Revier bei Kreisfeld und das Kuxberger Revier bei Helbra. Im Schafbreiter Revier und später im Helftaer Revier bzw. im Hermannschacht, die verkehrstechnisch günstig zum Sangerhäuser Gebiet lagen, arbeiteten viele Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern.
Der Bergwerksdirigent der Bi I war in dieser Zeit der gewerkschaftliche Bergmeister Hermann Schrader. Er war bis zu der Stilllegung der Sangerhäuser Kupferschieferreviers im Jahr 1885 auch für dieses verantwortlich. Mit seiner Berufung zum Ober-Berg- und Hütten-Direktor der MKbG im Jahr 1900 machte er einen großen Karrieresprung. Eine hohe Ehrung erhielt er im Rahmen der 700-Jahrfeier des Mansfelder Bergbaus, als er zum Königlichen Bergmeister ernannt wurde.
Abb. 4.: Mansfelder Schächte und Schlafhäuser mit Belegung von Bergleuten aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern um 1900 (Klick auf das Bild zum Vergrößern)
In die Berginspektion II war das Hirschwinkler Revier bei Klostermansfeld mit den Schächten LL 81, Theodor und Zirkel sowie die Freieslebenschächte bei Leimbach als eigenständiges Revier eingeordnet. Auch im Hirschwinkler Revier arbeiteten Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern. Weiterhin war der Riestedter Braunkohlenbergbau bis zu seiner Schließung im Jahr 1893 der Bi II zugeordnet. Die Funktion des Bergwerks-Dirigenten dieser Bi übte der gewerkschaftliche Bergmeister Dietzel aus.
Die Berginspektion III umfasste das Stockbacher Revier bei Großörner, das Burgörner Revier bei Burgörner und das Revier Nr. 31 bei Welfesholz. Die Funktion des Bergwerks-Dirigenten übte der gewerkschaftliche Bergmeister von Baczko aus.
Die wichtigsten Schachtanlagen in den Revieren in der Mansfelder Mulde, in denen Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern arbeiteten, waren um das Jahr 1900:
Im Schafbreiter Revier:
Zu diesem Revier gehörten
- der Ottoschacht bei Wimmelburg (Beginn Erzförderung 1868-Stilllegung 1910),
- der Hoffnungschacht bei Neckendorf (Beginn Erzförderung 1895-Stilllegung 1910) und
- der Hermannschacht bei Helfta (Beginn Erzförderung 1901-Stilllegung 1924).
Im Jahr 1904 wurde der Hoffnung- und Hermannschacht aus dem Schafbreiter Revier herausgelöst und in einem neuen Revier, unter der Bezeichnung „Helftaer Revier“, geführt. Nach Einstellung des Hoffnungschachtes entfiel die Bezeichnung „Revier“. Es wurde nur noch die Bezeichnung „Hermannschacht“ verwendet.
Hirschwinkler Revier:
- Das Lichtloch 81 (Beginn Erzförderung 1861-Stilllegung 1900) des Froschmühlenstollens und
- der Theodorschacht (Beginn Erzförderung 1873-Stilllegung 1898) in Klostermansfeld
waren Förderschächte in diesem Revier um 1900. Im Jahr 1895 nahm
- der Zirkelschacht seine Erzförderung auf. Er wurde 1927 stillgelegt.
Revier Nr. 31:
Hier ist
- der Glückhilfschacht (Beginn Erzförderung 1877-Stilllegung 1909)
bei Welfesholz zu nennen. Während des Wassereinbruchs im Schafbreiter Revier in den 1890er Jahren wurden auch Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern in dieses Revier umgesetzt.
Ausführliche Angaben zu diesen Schachtanlagen sind unter www. Kupferspuren.eu zu finden.
7. Die Anlegung von Bergleuten aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern in der Mansfelder Mulde (zurück zum Inhaltsverzeichnis)
7.1 Eine Übersicht (zurück zum Inhaltsverzeichnis)
Eine Zusammenstellung der Arbeitsorte der Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern (Kürzel SGH-Vhd) in den einzelnen Mansfelder Revieren bzw. Schächten bietet die Tabelle 2. Sie wurde aus den Daten zusammengestellt, die als Beiwerk bei montanhistorischen Forschungen mit anderen Zielstellungen angefallen sind. Die ausgewiesenen Datenreihen erheben deshalb keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr sind sie als Anregung für weiterführende Archivrecherchen zu sehen.
Tab. 2: Übersicht der angelegten Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern in den Revieren und Schächten der Mansfelder Mulde
1) Dazu zählen die Orte Gonna, Grillenberg, Hainrode, Leinungen, Lengefeld, Morungen, Obersdorf, Pölsfeld und Wettelrode - gelb: keine Archivrecherchen
7.2 Die Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern im Hirschwinkler Revier (zurück zum Inhaltsverzeichnis)
Am Ende des 19. Jh. waren im Hirschwinkler Revier, das sich in und um Klostermansfeld erstreckte, die Schachtanlage LL 81 F und der Theodorschacht in Betrieb. Der Zirkelschacht, der spätere Hauptförderschacht des Reviers, war noch im Aufbau begriffen. Weitergehende Informationen zu diesen drei Schächten sowie zu dem Schlafhaus in Klostermansfeld finden sich in www.kupferspuren.eu.
In Klostermansfeld wurde für die Bergleute des Hirschwinkler Reviers, die nicht in der Nähe der Schächte wohnten, ein Schlafhaus eingerichtet. Weiterhin fanden in Klostermansfeld eine große Anzahl von auswärtigen Bergleuten bei einheimischen Bergmannsfamilien Kost und Logie. Diese „Kostgänger“ wurden beim Essen, aber auch bei Arbeiten im Haus, im Garten und auf den Äckern in die Familien integriert.
Die Anzahl der angelegten Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern (SGH-Vhd) im Hirschwinkler Revier (HiRevier) ist in der nachfolgenden Tabelle ersichtlich:
Tab. 3: Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern im Hirschwinkler Revier
Wie nachfolgend auch bei den anderen Revieren verfahren, wurde im Hirschwinkler Revier das Jahr mit der bekannten höchsten Anlegungszahl von Bergleuten aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern hinsichtlich ihrer Wohnorte detailliert ausgewertet. Hier handelt es sich um das Jahr 1904. In diesem Jahr war nur noch der unweit von Klostermansfeld, in der Flur der Gemeinde Volkstedt gelegene Zirkelschacht in Betrieb. Es ergibt sich folgende Verteilung:
Abb. 5: Die Wohnorte der Bergleute aus den SGH-Vhd im Hirschwinkler Revier 1904
Die Grafik zeigt, dass die Dörfer Wettelrode, Obersdorf und Gonna zahlenmäßig die stärksten Belegschaftsanteile stellten.
Im Dezember 1910 berichtete eine Eisleber Lokalzeitung über die am 1. Februar 1911 vorgesehenen Belegschaftsverlegungen in den Kupferschieferschächten. Sie betrafen auch die Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern. Die mit der Preußischen Staatsbahn bis zum Bahnhof Mansfeld, der im heutigen Klostermansfeld lag, fahrenden Bergleute bzw. im Schlafhaus Klostermansfeld wohnenden Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern wurden zum Hermannschacht bei Helfta umgesetzt. Nach dieser Pressemitteilung konnten sie für ihren Weg zu ihrer neuen Arbeitsstätte, der unmittelbar am Bahnhof Helfta lag, die Preußische Staatsbahn benutzen. Im Weiteren war von der Mansfeld-Direktion vorgesehen, die Bergleute aus Kreisfeld, Wimmelburg und Wolferode vom Clotildeschacht zum Hermannschacht umzusetzen. Auch diese Bergleute wurden auf die Benutzung der Staatsbahn verwiesen.
Vor der Umlegung der Sangerhäuser Bergleute zum Hermannschacht wohnten viele von ihnen im Schlafhaus Klostermansfeld. Ihr Weggang vom Zirkelschacht führte zur Schließung des Schlafhauses im Jahr 1910. Damit endete endgültig ein Kapitel Sozialgeschichte des Mansfelder Montanwesens.
Nach der Schließung des Schlafhauses waren nur noch vereinzelte Sangerhäuser Bergleute im Hirschwinkler Revier anzutreffen. Sie logierten vermutlich als „Kostgänger“ bei Bergmannsfamilien. So waren im Jahr 1914 im Zirkelschacht noch zwei Sangerhäuser Bergleute beschäftigt, jeweils aus Morungen und Wettelrode. Weiterhin beschäftigte 1914 der Fuhrunternehmer Rath den Futterknecht Eduard Wolf (*5.11.1860) aus Lengefeld im Zirkelschacht.
Im Jahr 1916 sind im Mannschaftsnachweis des Zirkelschachtes keine Sangerhäuser Bergleute ausgewiesen. Im Jahr 1917 sind es wiederum zwei Bergleute, jeweils aus Obersdorf und Grillenberg. In den Mannschaftsnachweisen des Vitzthumschachtes der Jahre 1914, 1916 und 1917 wurden keine Sangerhäuser Bergleute aufgeführt.
Über seinen Weg zur Arbeit im Hirschwinkler Revier liegt ein interessanter Bericht /4/ des in Obersdorf wohnenden Bergmanns Bruno W. vor. Aus nicht näher beschriebenen Gründen wurde er im Jahr 1913 vom Hermannschacht bei Helfta zum Zirkelschacht bei Klostermansfeld umgesetzt.
Abb. 6: Der Weg des Obersdorfer Bergmanns Bruno W. zu seinen Arbeitsorten (Klick auf das Bild zum Vergrößern)
Nach seinen Angaben absolvierte er den Weg zwischen Obersdorf und Hermannschacht und zurück mit Fußmärschen und Bahnfahrten. Dagegen nutzte er für den Weg von Obersdorf zum Zirkelschacht das Fahrrad. Bei Wind und Wetter, bei Eis und Schnee benötigte er für die ca. 18 km lange Strecke zwischen Obersdorf und dem Zirkelschacht, die beträchtliche Höhenunterschiede aufweist, ca. 1,5 Stunden.
7.3 Die Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern im Schafbreiter Revier (zurück zum Inhaltsverzeichnis)
Von dem Schafbreiter Revier wurde im Jahr 1904 das Helftaer Revier, bestehend aus den Schachtanlagen Hoffnung bei Neckendorf und Hermann bei Helfta, abgetrennt. Damit bestand nach 1904 das Schafbreiter Revier nur noch aus dem Ottoschacht bei Wimmelburg. Diese für die damalige Zeit imposante Bergwerksanlage war lange Zeit ein Hauptförderschacht des Mansfelder Bergbaus. Die Verringerung der Erzförderung des Ottoschachtes bis zu seiner vollständigen Stilllegung im Jahr 1911 führte auch zu einer Reduzierung der Belegschaft. Davon waren auch die Sangerhäuser Bergleute betroffen. Ob die freigesetzten Bergleute entlassen oder auf andere Schächte umgesetzt wurden, ist nicht bekannt.
Tab. 4: Die Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern im Schafbreiter Revier
Das Jahr mit der bekannten höchsten Belegungszahl von Sangerhäuser Bergleuten im Schafbreiter Revier wurde hinsichtlich ihrer Wohnorte ausgewertet. Für das Jahr 1907 ergibt sich folgende Verteilung:
Abb. 7: Die Wohnorte der Bergleute aus den SGH-Vhd im Schafbreiter Revier 1907
7.4 Die Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern im Helftaer Revier/Hermannschacht (zurück zum Inhaltsverzeichnis)
Von 1904 bis 1910 bildete der Hermannschacht bei Helfta und der Hoffnungschacht in Neckendorf das Helftaer Revier. Nach Einstellung des Hoffnungschachtes verwendete man nur noch die Bezeichnung Hermannschacht.
Abb. 8: Ansichtskarte vom Hermannschacht und von der Bahnstation Helfta, um 1910
Während die unmittelbare Nähe des Hermannschachtes zur Bahnstation Helfta der Preußischen Staatsbahnlinie Halle-Kassel eine große Bedeutung für die Beförderung der Belegschaft hatte, wurde das im Hermannschacht geförderte Erz per Drahtseilbahn zur Eisleber Krughütte transportiert.
Bereits unmittelbar nach dem Abteufen des Hermannschachtes 1 in den Jahren 1899 bis 1901 begann im Jahr 1901 die Erzförderung. Im Jahr 1911 wurden die im Hirschwinkler Revier beschäftigten Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern zum Hermannschacht umgesetzt. Die Entwicklung ihres Anteils an der Gesamtbelegschaft des Hermannschachtes zeigt folgende Tabelle:
Tab. 5: Die Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern (SGH-Vhd) im Helftaer Revier bzw. Hermannschacht in Jahren von 1907 bis 1923
Im Jahr 1917 arbeiteten 172 Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern im Hermannschacht. Ihre Verteilung auf die einzelnen Dörfer ist in der Abb. 9 dargestellt:
Abb. 9: Die Wohnorte der Bergleute aus den SGH-Vhd im Hermannschacht im Jahr 1917
Die Belegschaftsentwicklung des Hermannschachtes bis auf ca. 3.000 Mann war nur durch die rasante Entwicklung der Eisenbahn als Beförderungsmittel für die Belegschaft möglich. Im Gegensatz zu den anderen Mansfelder Großschachtanlagen, die zu Beginn des 20. Jh. entstanden (z. B. Paul, Wolf und Vitzthum), war aber der Hermannschacht nicht an das Gleisnetz der Mansfelder Bergwerksbahn angeschlossen. Für die Beförderung von großen Teilen der Belegschaft diente allein die Preußische Staatsbahn, die 1920 in Deutsche Reichsbahn umbenannt wurde. Durch ihr Streckennetz erschloß sie ein sehr großes Einzugsgebiet für die Belegschaft des Hermannschachtes. Im Jahr 1923 kam die Gesamtbelegschaft des Hermannschachtes in der Stärke von ca. 3.000 Mann aus 62 Ortschaften. Allein an der Bahnstrecke Sangerhausen-Helfta umfasste das Einzugsgebiet 30 Ortschaften mit ca. 1.000 Bergleuten, nicht eingerechnet die 824 Mann aus Eisleben.
Die stetige Entwicklung und die große Bedeutung der Verkehrsanbindung per Staatsbahn verdeutlicht ein Vergleich des Jahres 1923 mit dem Jahr 1910. In dem zuletzt genannten Jahr betrug die Belegschaftsstärke des Hermannschachtes ca. 2.400 Mann, die aus 37 Ortschaften kamen. Weitergehende Details zur Nutzung der Preußischen Staatsbahn durch Mansfelder Bergleute (z. B. Fahrpläne, Fahrtkosten, Beförderungsmodalitäten) sind nicht bekannt.
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass bei ihrer Arbeit im Untertagebetrieb des Hermannschachtes zwei Bergleute aus Lengefeld ihr Leben verloren. Am 8. Juli 1911 verunglückte der Bergmann Rüdiger durch Steinfall. Nach Einlieferung in das Knappschaftskrankenhaus Eisleben verstarb er noch am gleichen Tag. Ebenfalls durch Steinfall verunglückte am 14. Januar 1915 der Häuer Otto Rödel tödlich. Ob es weitere verunfallte Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern gab ist nicht bekannt, da eine vollständige Erfassung und Ausweisung aller Unfälle durch die Mansfeld-Direktion bzw. das Bergamt nicht erfolgte. Für die Mitglieder des Vereins der Mansfelder Berg- und Hüttenleute ist es eine ehrende Verpflichtung, die von ihnen erarbeitete Dokumentation über die tödlich verunfallten Mansfelder Berg- und Hüttenleute zu pflegen und stetig zu vervollständigen.
8. Die Kriegskläuberinnen aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern (zurück zum Inhaltsverzeichnis)
Während des 1. Weltkrieges wurden zur Erzgewinnung von den Halden viele Frauen beschäftigt. Sie nehmen in der Mansfelder Montangeschichte als Kriegskläuberinnen einen viel beachteten und würdigen Platz ein. Zusammen mit ihren männlichen Arbeitskameraden, bei denen es vielfach um Invaliden handelte, sortierten sie von den Halden das schmelzwürdige Erz zur Verhüttung aus. Während für das Jahr 1914 keine weiblichen Belegschaftsangehörige für den Kupferschieferbergbau ausgewiesen wurden, arbeiteten im Jahr 1915 auf den Halden in der Mansfelder Mulde 1.395 und 88 Frauen im Sangerhäuser Revier.
Aus dem Jahr 1918 lagen die Mannschaftsnachweise über die Belegschaft des Sangerhäuser Haldenbetriebs vor. Er wurde in den Abteilungen Wettelrode-Morungen und Pölsfeld-Obersdorf durchgeführt. In der letztgenannten Abteilung arbeiteten 28 Männer und 28 Frauen. Die Frauen kamen aus Pölsfeld, Obersdorf und Gonna. Geleitet wurden die Arbeiten durch einen Fahrsteiger. In der Abteilung Wettelrode-Morungen waren 1918 insgesamt 95 Arbeitskräfte, davon 54 Frauen, beschäftigt. Die Frauen kamen aus den Dörfern Wettelrode, Morungen, Lengefeld, Gonna, Horla und Großleinungen. Auch in dieser Abteilung war ein Fahrsteiger für die Kläubearbeiten verantwortlich.
Abb. 10: Die Wohnorte der Belegschaft des Sangerhäuser Kläubebetriebes im Jahr 1918
Nach Kriegsende wurden zu Beginn des Jahres 1919 die Haldenkläubungen in der Mansfelder Mulde und im Sangerhäuser Revier eingestellt. Die Belegschaft wurde entlassen.
9. Das Ende und der Neuanfang der Bergmannsarbeit in den Sangerhäuser Vorharzdörfern (zurück zum Inhaltsverzeichnis)
Im Jahr 1924 wurde der Hermannschacht in Folge von Rationalisierungsmaßnahmen stillgelegt, was für viele Bergleute, die die Reichsbahn benutzten, das Ende ihres bergmännischen Berufslebens bedeutete. Denn die neuen Großschachtanlagen Wolf und Vitzthum waren nicht an ihr Streckennetz angeschlossen. In den Mannschaftsnachweisen dieser beiden Schächte sind nur höchst selten Bergleute aus den Sangerhäuser Vorharzdörfern anzutreffen.
Die bergmännischen Unternehmungen des Mansfeld-Konzerns in den 1920/1930 er Jahren im Sangerhäuser Gebiet waren nur von kurzer Dauer und von geringem Umfang (z. B. Röhrigschacht, Barbaraschacht, Erkundungsschächte am Südharzrand).
Erst die Aufnahme der Abteufarbeiten für den Schacht Sangerhausen, dem späteren Thomas Münzer-Schacht, im Jahr 1944 und der Abbaubeginn im Jahr 1951 veränderte auch die Beschäftigungssituation in den Sangerhäuser Vorharzdörfern. Der neue Sangerhäuser Kupferschieferbergbau brauchte Bergleute! Jetzt hatten die Sangerhäuser Vorharzdörfer wieder einen Schacht unmittelbar vor „ihrer Haustür“. Eine Chance, die von vielen ihrer Bewohner bis zur Stilllegung des Kupferschieferbergbaus im Jahr 1990 genutzt wurde.
Quellennachweise (zurück zum Inhaltsverzeichnis)
Zitierte Literaturquellen:
/1/ Verwaltungsbericht der Mansfeld‘schen Kupferschiefer bauenden Gewerkschaft für
das Jahr 1885, S. 5 und 19
/2/ Aus der guten alten Zeit - 64 Mansfelder Berg- und Hüttenleute berichten aus ihrem
Leben; Kulturabteilung der VVB Mansfeld, Lutherstadt Eisleben 1950, S. 16/17
3/ Aus der guten alten Zeit - 64 Mansfelder Berg- und Hüttenleute berichten aus ihrem
Leben; Kulturabteilung der VVB Mansfeld, Lutherstadt Eisleben 1950, S. 42
/4/ Aus der guten alten Zeit - 64 Mansfelder Berg- und Hüttenleute berichten aus ihrem
Leben; Kulturabteilung der VVB Mansfeld, Lutherstadt Eisleben 1950, S. 39/40
Weitere verwendete Quellen, u. a.:
Literatur:
Autorenkollektiv Mansfeld - Die Geschichte des Berg- und Hüttenwesens, Band 3: Die Sachzeugen (hrsg. vom VMBH e.V. Lutherstadt Eisleben/Deutsches Bergbau-Museum Bochum), 2008
Der Bergbote, Zeitung des reichstreuen Berg- und Hüttenmanns-Vereins des Mansfelder Landes, diverse Jahrgänge
Ebruy, Marion: Wie unsere Großeltern wohnten, Mansfelder Heimatblätter 1983
Festschrift zum IV. Deutschen Bergmannstag in Halle: Der Kupferschieferbergbau und der Hüttenbetrieb zur Verarbeitung der gewonnenen Minern in den beiden Kreisen der Preuß. Prov. Sachsen. Eisleben 1889
Festschrift zur Feier des 700-jährigem Jubiläums am 12. Juni 1900: Die Geschichte des Mansfelder Kupferschieferbergbaues und Hüttenbetriebes, Eisleben 1900
Festschrift zum X. Deutschen Bergmannstag in Halle: Die Mansfeld’sche Kupferschiefer bauende Gewerkschaft zu Eisleben, 1907
Festschrift 1000 Jahre Klostermansfeld, 973-1974, Herausgeber Rat der Gemeinde Klostermansfeld
Foth, Klaus: Die Zeit der Schlafhäuser der Mansfeld’schen Kupferschieferbauenden Gewerkschaft, Mitteilungen Nr. 169 und 170 des VMBH e. V. : Heft 1/2021 und 2/2021
Karnstedt, Horst: Die Halle-Casseler Eisenbahn, in Heft 9 der Reihe „Wir berichten aus der Riestedter Heimatgeschichte, Herausgeber Verein für Heimat und Geschichte von Riestedt e. V.; Riestedt 2004
König, Stefan: Das Bergjahr 1919 im Mansfelder Revier – Die Nachkriegszeit beginnt; Mansfeld-Echo Nr.1/2020
Schneemann, Horst: Die Schlaf- und Familienhäuser, in Ausgabe II (2022) der Interessengemeinschaft Ortschronik Siersleben-Schriftenreihe zur Geschichte unserer Heimat, Siersleben 2022
Zemlin, B.: Vor 150 Jahren: Mit dem Zug erstmals nach Thüringen, MZ-10.07.2016
Ziegler, Thilo: Der Röhrigschacht-Eine Führung durch das Bergbaumuseum und Schaubergwerk, Wettelrode 2004
Archivalien:
LHASA, MER, Mansfeld AG Eisleben
Tit. IV Nr. 4 / z. B. Bd. III-1864; VIII-1869; IX-1870; XI-1872; XII-1873; XIV-1875
und weitere diverse Jahrgänge unter diesem Titel (betrifft u. a. Mannschaftsnachweise
der Sangerhäuser Montanwerke der MKbG)
Ehem. Mansfeld-Archiv im Stadtschloss Eisleben, überführt in das LHASA, Abt. MER
MAG/357 H 000620 (alt: IV 60 III), H 000624 (alt: IV 60 VII) H 000627 (alt: IV 60 X);
betrifft Mannschaftsnachweise Berginspektion II
Ehem. Mansfeld-Archiv im Stadtschloss Eisleben, überführt in das LHASA, Abt. MER
MAG/357 H 004209 (alt: II 15 VIII), H 000286 (alt: II 15 IX), H 000287 (alt: II 15 X);
betrifft Mannschaftsnachweise Zirkel- und Vitzthumschacht
Ehem. Mansfeld-Archiv im Stadtschloss Eisleben, überführt in das LHASA, Abt. MER
MAG/357 H 000274 (alt: I 15 III), H 000275 (alt: I 15 IV), H 000276 (alt: I 15 V); H 000277
(alt: I 15 VI); betrifft Mannschaftsnachweise Berginspektion I in den Jahren 1907,
1908, 1909 und 1910
Ehem. Mansfeld-Archiv im Stadtschloss Eisleben, überführt in das LHASA, Abt. MER
MAG/357 H 000284 (alt: I 15 XIII), H 000285 (alt: I 15 XIX) betrifft Mannschaftsnach-
weise Hermannschacht und Haldenbetriebe Sangerhäuser Revier 1917 und 1918
Internet (interne Links zu Beiträgen auf unserer Seite) www.kupferspuren.eu
Schächte Sangerhäuser Revier:
- Schächte Johann und Carolus unter Tour 09
- Thomas Münzer – Objekt 071
- Röhrigschacht - Objekt Nr. 076
- Barbaraschacht – Objekt Nr. 009
Schächte Mansfelder Mulde:
- Zirkel – Objekt 015
- Theodor – Objekt 016
- Hoffnung – Objekt 038
- Paul – Objekt 041
- Vitzthum – Objekt 042
- Wolf – Objekt 043
- Hermann – Objekt 095
- Otto – Objekt 064
- Lichtloch 81 F – Objekt 096
- Glückhilf – Objekt 113
Sonstiges:
- Schlafhaus Klostermansfeld – Objekt 014
- Schlafhaus Mansfeld – Objekt 109
- Neue Hütte, nur einleitender Verweis auf Schlafhaus – Objekt 134
- Bergwerksbahn – Objekt 012
- Drahtseilbahnen - u.a. Hermannschacht-Krughütte
- [074] Braunkohlenbergbau bei Riestedt
- [075] Kupferhütte Sangerhausen
Der Beitrag "800 Jahre Mansfelder Kupferschieferbergbau" von Martin Spilker ist ein ausführlicher Rückblick auf die Lagerstätte, Technik / Technologie, Organisation und Produktion des Mansfelder Kupferbergbaus im Verlauf von 800 Jahren. Das dort Wiedergegebene hilft bei der Einordnung der im obigen Beitrag vermittelten Fakten in ein Gesamtbild.
15.12.2022