2018-3 2018 – Jubiläumsjahr für Wassereinbrüche


Der Beitrag von Martin Spilker erinnert an große Wassereinbrüche in Mansfelder Gruben. Im Mittelpunkt des Beitrages stehen  Augenzeugenberichte vom Wassereinbruch im Jahre 1958 im Brosowski-Schacht, bei dem mit einem Zufluss von etwa 2000 m3/min ein Rekord erreicht worden ist.


2018 – Jubiläumsjahr für Wassereinbrüche

Martin Spilker, Sangerhausen

Es ist allgemein bekannt, dass der Mansfelder Kupferschieferbergbau seit seinem Bestehen unter erheblichen Schwierigkeiten, insbesondere durch Wassereinbrüche litt. Sie hatten ihre Ursache in der weiträumigen Verkarstung des über der Lagerstätte liegenden Zechsteingebirges und der Störung des Gebirgsverbandes durch den Bergbau. Das führte zu verheerenden Wassereinbrüchen in die Gruben. Die nebenstehende Tabelle gibt Auskunft zu den Vorgängen in der Mansfelder Mulde. Danach jährt sich 2018 der letzte Wassereinbruch in diesem Revier, im Otto-Brosowski-Schacht, zum 60. Mal (1958 / 2018). Aber auch der Thomas-Münzer-Schacht im Revier Sangerhausen blieb von solchen Vorgängen nicht verschont. Die ständig steigenden Zuflüsse führten 1988 (vor 30 Jahren) mit der Steigerung auf über 30 m3/min zur Aufgabe von Teilfeldern und schließlich der ganzen Grube. Aus der Reihe der Wassereinbrüche sticht der von 1958 im Brosowski-Schacht durch seine einmalig hohe Zuflussrate heraus. Während die Menge der pro Zeiteinheit in die Grube dringenden Wässer in der Regel bei maximal 30 m3/min, höchstens aber bei ca. 80 m3/min lag (Lademannn-Schacht 1892), ist hier mit knapp 2000 m3/min eine Rekordmarke erreicht worden. Diese Mengen richteten unter Tage erhebliche Schäden an (siehe Abbildungen) und führten auch dazu, dass sich damals nicht alle Bergleute im ersten Anlauf in Sicherheit bringen konnten, sondern erst am nächsten Tag über das alte Grubenfeld oberhalb der 5. Sohle und den Niewandt-Schacht gerettet wurden.

 

 

 

 

 

 

 

 

Jahr Wassereinbruch im Schacht Teufe der Einbruchstelle / [m NN] Max. Zufluß [m³/min] Auswirkung über Tage
1884 Otto -25 16 Erdfall Stiftsteich, bis heute aktiv
  Clotilde (Lademann) -170 22 nicht bekannt
1892 Clotilde (Lademann) -174 ca. 80 Wasserverluste im Salzigen See, Senkungen und seism. Ereignisse in Eisleben
1896 Clotilde (Lademann) -109 21 Belebung bestehender Senkungsgebiete
1900 Hohenthal (Seidel) -172 60 Erdfall Minnabad bei Volkstedt
1907 Zirkel -235 30 Senkungen, Erdfälle bei Volkstedt, aktiv bis zur Flutung der Mansf. Mulde
1952 Brosowski (Paul) -486 19 Erdfälle, Senkungen am Brosowski-Schacht
1958 Brosowski (Paul) -235 ca. 2000 Erdfälle, Senkungen am Brosowski-Schacht

Die Kraft des Wassers

Es sollen hier nicht die geologischen und bergmännischen Ursachen für diesen Umstand dis­kutiert werden. Vielmehr soll ein Augenzeuge von damals seine Eindrücke schildern. Es han­delt sich um den damals als Treckejunge angefahrenen Klaus Romahn, der seine Tätigkeit 1990 als Werkstattmeister in der Instanthaltung des Thomas-Münzer-Schachtes beendete. Er schrieb unter anderem:

Am 17. September 1958 hatte ich Mittagschicht und fuhr wie immer ein. Der Zug brachte uns bis zum B-Flachen in der 11. Sohle. Zwischen der 11. und der 12. Sohle lag unser Flügel 12. Es war so üblich, dass alle Kollegen der Brigade an der Sturzbühne eine sog. Anfangspause machten. Ich zog meine Treckersocken an. In dem Moment, als der Brigadeleiter die Wetterlampe anmachte, kam unser Flügelsteiger Gustav Storzer im Laufschritt zu uns an die Bühne und befahl uns im Auftrag der Einsatzleitung, sofort in die 11. Sohle zurück zu kehren. Da stehe noch der Zug bereit, der uns zum Dreieck, also der Stelle, wo sich die 11. Sohle teilt, bringt. Schnell zogen wir Hemd und Jacke an, hängten die Kaffeeflasche um und zügig ging es das Flachen hoch. Es sollte einen Gasausbruch oder einen Wassereinbruch in unserem Schacht gegeben haben, genaueres wusste unser Steiger zu dieser Zeit noch nicht. In der 11. Sohle konnte man kaum noch was sehen. Der Wetterstrom war mit Staub angereichert und es roch eigenartig. Wir merkten es schon, es ist etwas Ernstes. Dann fuhr auch unser Zug los. Ich glaube, nach ein paar 100 Metern fiel der Strom aus und wir liefen weiter bis zum Dreieck. Am Dreieck brannten eigentlich immer Lampen. Jetzt war es aber dunkel, es war also der gesamte Schacht stromlos. Am Dreieck wies ein Schild auf den Fluchtweg zum Thälmann-Schacht hin. Da war erst mal alles klar. Wir wussten, wenn wir aus der Grube rauswollten, ginge es nur über den Thälmann-Schacht. Unser Schacht war nicht mehr befahrbar. Wie lange wir gebraucht haben, wie viele Kilometer wir gelaufen sind bis ins Thälmann-Schächter Feld, weiß ich nicht mehr. Irgendwann trafen wir jedenfalls auf Bergleute des Thälmann-Schachtes. Die wussten noch nichts von dem Vorkommnis im Brosowski-Schacht. Wir bestiegen einen hier stehenden Personenzug. Ich glaube mich noch zu erinnern, dass es mit der Zahnradbahn zur 9. Sohle ging, von da dann zum Füllort. Ohne lange Wartezeit konnte die Brosowski-Schächter Belegschaft ausfahren. Ein Kollege erzählte mir, dass bei der Flucht ein älterer Kollege stürzte. Zwei Kollegen halfen ihm auf dem weiteren Weg. Ernstlich verletzt hat sich aber niemand. Bergleute helfen sich untereinander. Ich möchte auch nicht vergessen, dass alle Flügelsteiger ihre Aufgabe hervorragend erfüllt haben, indem sie die gesamte Belegschaft informierten. Es wurde niemand vergessen, obwohl eigentlich ein großes Durcheinander herrschte. Es wusste ja keiner unter Tage, was da genau passiert war. Nach dem Ausfahren liefen wir zum Busparkplatz. Ikarus Busse brachten uns über Siersleben zurück zum Brosowski-Schacht.

Am Schachteingangstor stand unser Werkleiter und fragte immer wieder: "Ist hier einer vom Flügel 2 dabei?" Offensichtlich gab es Sorgen mit der Belegschaft dieses Flügels. Es hieß aber immer: „Nein". Wir gingen in die Kaue zum Duschen und Umziehen. Dort kam über eine Lautsprecherdurchsage die Nachricht, dass in der 5. Sohle ein Wassereinbruch erfolgt war und Wasser in die Schachtröhre stürzte. 63 Kollegen vom Flügel 2 wurden noch vermisst, da der Flügel oberhalb der 5. Sohle lag und ihnen der Fluchtweg zur 5. Sohle versperrt war. Das war schon ein Schock für uns alle, die schon in Sicherheit waren. Was wird bloß mit unseren Kollegen werden, wie kommen die aus dieser "Falle" raus? Die meisten Geretteten saßen im Speiseraum. Wie es weiter geht, wusste keiner. Ich ging mal raus frische Luft schnappen. Am Schachteingang außerhalb des Betriebes standen Leute, vermutlich aus Augsdorf oder Helmsdorf. Ich wollte zu den Leuten hin gehen, wurde aber von einem Polizisten daran gehindert. Gehen sie in den Speiseraum und warten sie auf Informationen, sagte der Polizist zu mir. Da bemerkte ich, dass das Schachtgelände durch die Volkspolizei abgesperrt war. Keiner sollte den Angehörigen der Bergleute Informationen geben. Trotzdem wussten Leute aus dem Umland, dass auf dem Schacht etwas passiert war. Gegen 21 Uhr wur­de die Belegschaft informiert, dass sich alle 63 vermissten Kollegen am Glückhilf-Schacht gemeldet haben. Dass die gesamte Belegschaft aufatmete, ist wohl verständlich. Der Glückhilf-Schacht hat seinen Namen in diesem Fall wirklich verdient, denn unsere Kollegen vom Flügel 2 hatten Glück, dass sie diesen alten Wetterschacht gefunden haben und so konnte ihnen auch geholfen werden. Die Betriebsleitung hat zum Glückhilf-Schacht, in dem keine Fahrmöglichkeit mehr bestand, Horchposten hingeschickt, die eventuelle Signale der eingeschlossenen Kumpel melden sollten. Die Betriebsleitung hatte alte, ortskundige Bergleute zu Rate gezogen. Einer dieser alten Bergleute namens Lutkowiak war früher Wettermann. Er kannte das alte Abbaurevier gut und gab den Tipp, dass die Berg­leute den Glückhilf-Schacht erreichen könnten. Auch bei den Kameraden vom Flügel 2 wurde diskutiert, wie es weiter gehen sollte. Der Steiger und einige erfahrene Bergleute übernahmen das Kommando. Durch den Wassereinbruch hatte sich die Richtung des Wetterstroms geändert und so gingen sie dem Frischwetterstrom entgegen.

Es war ein ziemlich beschwerlicher Weg, fast 5 km. Die Grubenbaue waren schmal und nied­rig. Sie kamen aber alle am besagten Schacht an. Man hatte sich auch gegenseitig geholfen. An der Schachtröhre war noch eine Rohrleitung vorhanden und man schlug das altbekannte Signal (ein Anschlag, kurze Pause), schlage an die Rohrleitung das Signal "Komm, Kamerad, komm!" Die Grubenwehr fuhr in den Niewandt-Schacht ein und führte die Bergleute vom Glückhilf- zum Niewandt-Schacht. Der Niewandt-Schacht war Wasserhaltungsschacht und hatte eine intakte Förderanlage für Seilfahrten. Am 18. September 6 Uhr waren alle Bergleute ausgefahren. Einige Bergleute nahmen im Nachhinein psychologi­sche Hilfe in Anspruch, da sie mit dem Erlebnis einfach nicht fertig wurden. Übrigens haben alle Geretteten weiter im Bergbau gearbeitet.

 

Ein weiterer Augenzeugenbericht stammt von Herbert Kaiser, der als Elektriker und Schlosser arbeitete und auch Mitglied der Grubenwehr des Brosowski-Schachtes war. Er schrieb unter anderem:

"In den Tagen nach dem Wassereinbruch hielten wir Grubenwehrmitglieder uns, wenn wir keinen Einsatz hatten, fast ständig in der Grubenrettungsstelle auf. Am 25.09. kam unser Oberführer Rudi Schmidt und sagte, er brauche am 26.09. etwa 12 bis 15 Mann für einen Sondereinsatz. Ich wurde mit ausgewählt. Wir bekamen den Auftrag, das Mannloch in einem Damm in der 6. Sohle zu verschließen. Der Anmarsch sollte vom Niewandt-Schacht aus erfolgen. Die Aktion unter Tage leitete Rudi Schmidt. Von den weiteren Teilnehmern ist mir nach nunmehr fast 60 Jahren nur noch Helmut Heinike aus Gerbstedt namentlich bekannt. Einen Teil der Aufgabe kannte ich schon, denn in der Werkstatt wurde ein großer Holzstopfen gedreht, welcher mitgenommen werden sollte, um das Dammrohr zu verschließen. In der Einsatzleitung war man sich nicht sicher, dass ein Blindflansch zum Verschluss am Damm bereitlag. Am 26.09. früh nahmen wir unsere Rettungsgeräte in Empfang und überprüften sie noch einmal. Anschließend wurden wir belehrt und in die Aufgabe in der 6. Sohle eingewiesen. Wir fuhren dann zum Niewandt-Schacht. Wir waren 3 Gruppen a' 5 Kameraden der Grubenwehr. Außer unserer persönlichen Ausrüstung hatten wir Ersatzlampen, 1 großen Sanitätskasten, 1 Krankentrage, Säge, Beil und 1 großen Hammer mit. Einen ortskundigen Führer für die alten, seit fast hundert Jahren verlassenen Grubenbaue hatten wir auch. Es war unser alter Wettermann Franz Dudkowiak aus Gerbstedt. Wir fuhren in den Niewandt-Schacht auf die Schlüsselstollensohle und dann ging es am Zimmermann-Schacht auf die 1. Sohle. Von dort aus sind wir dann das Zimmermann-Schächter Flachen hinab in die 2. Sohle marschiert. Dieses Flachen war nur 1,50 m hoch und wir hatten die Rettungsgeräte auf dem Buckel. Es war die größte Plage des Tages. Jede Gruppe und Franz der Wettermann hatte zur Wetterkontrolle eine Wetterlampe mit. Die Wetter waren aber sauber. Als wir in der 2. Sohle waren, drehte sich unser Franz zweimal um, holte seine Pfeife aus der Tasche und stopfte sie. Alle guckten was das werden sollte, denn rauchen war unter Tage verboten. Franz erklärte nach dem Anzünden, er muss erstmal sehen wie die Wetter gehen und so sieht man das am besten. Er sagte, ohne seine Pfeife wäre er öfter kaum in der Lage gewesen, die Richtung des Wetterstromes zu erkennen. Er hatte recht, ohne den Qualm hätten wir es nicht gewusst. Wir marschierten dann auf der 2. Sohle zum Glückhilf-Schacht. Es war eine sehr lange Strecke. Gestaunt haben wir, wie aufgeräumt und sauber unsere Vorfahren ihre Arbeitsstätten ver­lassen haben. Nach dem langen Weg im Füllort des Glückhilf-Schachtes angekommen, machten wir eine Rast von etwa 2 Stunden. Auf der Halde des Glückhilf-Schachtes war ein Haspel aufgebaut und von über Tage wurden wir mit Essen und Trinken sowie neuem Geleucht versorgt. Auch der große Holzstopfen wurde reingeschickt. Nach der Rast ging es weiter zur 3. Sohle. Es wurde ein sehr langer Weg mit dem Rettungs­gerät und dem Holzklotz bis in unser Grubenfeld. In den Klotz waren zum Tragen 2 Bauklammern eingeschlagen. Wir mussten uns beim Tragen oft abwechseln und in den niedrigen Strecken tief bücken, um den Kopf zu schonen. Der Marsch war eine einzige Schinderei für uns. Bis in unser Grubenfeld hatte uns Kamerad Dudkowiak geführt. Hier wussten wir Bescheid. So gegen vier Uhr am 27.09. hatten wir das Rohr im Damm in der 6. Sohle mit einem vorhandenen Blindflansch verschlossen. Den großen Holzstopfen haben wir gar nicht gebraucht. Zum Verschluss des Durchlassrohres im Damm und an 2 Dammtoren, die wir auch noch zusperrten, lagen überall Blindflansche, Dichtungen und Schrauben bereit. Wir machten uns Gedanken über unsere Vorgesetzten, denn sie hätten das doch wissen müssen. Wir hatten jedes Zeitgefühl verloren. Unser mitgeschlepptes Werkzeug haben wir liegen gelassen, als wir mit den Arbeiten fertig waren. Nach dem der Damm und die Dammtore geschlossen waren, machten wir uns auf den Rückweg zum Glückhilf-Schacht. Dort haben wir uns ausgeruht. Uns wurde per Haspel wieder Essen und Trinken und neues Geleucht in den Schacht geschickt. Unsere Ausfahrt erfolgte wieder auf dem Niewandt-Schacht. Die Aktion hatte 24 Stunden gedauert. Im Speisesaal des Brosowski-Schachtes wurden wir als Aktivisten ausgezeichnet".

Die Erfahrungen aus den Ereignissen im Brosowski-Schacht führten zu umfangreichen Reaktionen durch die Leitungen des Mansfeld-Kombinates. So wurden in vielen Beratungen mit Experten aus der Praxis und der Wissenschaft Entscheidungen zur Verbesserung der Kenntnisse zur Geologie, zur Überwachung und Kontrolle der Wasserzuflüsse, der technischen Einrichtungen zum Katastrophenschutz und die regelmäßige Aktualisierung der Maßnahmen festgelegt. Diese Verfahrensweise hat sich in den Folgejahren immer wieder bewährt, konnte aber am Grundübel, der Wasserführung des Gebirges, nichts ändern.

Mansfeld-Echo Nr. 3/2018

03/2019

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